Green Sciences: Energiewende konkret – Teil 4

oder
„Wer nichts weiß, muss alles glauben“
von Dr. Günther Coen

In der Rubrik Green-Sciences werden künftig in loser Folge unter dem Titel Energiewende
konkret oder „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ Fakten zur aktuellen Energiepolitik
präsentiert.

Es geht also nicht darum, dem Meer der Meinungen zur tatsächlichen oder vermeintlichen Energiewende eine weitere Meinung hinzuzufügen sondern den Leserinnen und Lesern nachprüfbare Tatsachen zu liefern.


 

Teil 4:

Energie kann in verschiedenen Energieformen auftreten, die ineinander umgewandelt  und auch transportiert werden können. Sie kann aber  nicht verbraucht werden. Was tatsächlich verbraucht wird, sind die eingesetzten Energieträger, in denen die Primärenergie  ursprünglich gespeichert war.

Die heutige, fünfte Folge von Energiewende konkret oder „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ soll dazu dienen, den aktuellen Istzustand des deutschen Energiesystems in Bezug auf die wichtigsten Energieträger möglichst objektiv darzustellen. Diese Energieträger lassen sich unterteilen in nicht nachhaltige und nachhaltige Energieträger.

  • Die nicht nachhaltigen Energieträger werden auch konventionelle Energieträger bezeichnet. Sie lassen sich weiter unterteilen in die endlichen Kernenergiebrennstoffe und die endlichen fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas, Steinkohle und Braunkohle.
  • Die nachhaltigen Energieträger sind: Sonne, Erdkruste, Wasser, Wind und Biomasse

Die in Deutschland verfügbare Primärenergie wird in den drei Teilsektoren Elektrizität, Wärme und Mobilität eingesetzt. Hier wollen wir uns nur mit dem Teilsektor Elektrizität befassen und dabei die neuesten statistischen Daten (Fraunhofer-Institut für Solare Energie­systeme ISE) zum Thema Elektrizität für das Jahr 2018 nutzen:

Energieträger Relativer Anteil an der national verfügbaren und genutzten mittleren Nettoleistung für Elektrizität in % Absoluter Anteil an der national verfügbaren und genutzten mittleren  Nettoleistung für Elektrizität in GW Absoluter Anteil an der national installierten elektrischen Leistung in GW
Braunkohle 24,36 14,989 21,290
Wind 20,59 12,671 58,560
Steinkohle 13,62 8,379 ?
Kernenergie 13,38 8,231 10,801
Sonne 8,48 5,217 45,500
Biomasse 8,35 5,137 ?
Erdgas 8,12 5,000 ?
Wasser 3,10 1,906 ?
Gesamt 100,00 61,530 ?

Erläuterungen zu Tabelle 1:

  • Der fossile Energieträger Erdöl und der regenerative Energieträger Erdkruste tauchen hier nicht auf, weil sie im Teilsektor Elektrizität nicht genutzt werden. Sie werden nur in den Teilsektoren Wärme und Mobilität eingesetzt.
  • In diesem Artikel werden die Daten zur national verfügbaren und genutzten mittleren Nettoleistung für Elektrizität zur öffentlichen Stromversorgung 
  • Das bedeutet insbesondere, dass die elektrische Leistung, die von den Kraftwerken selbst für die Bereitstellung der öffentlichen Stromversorgung benötigt wird, nicht in der Nettobilanz auftaucht.
  • Die Daten repräsentieren damit den Strommix, der tatsächlich zu Hause aus der Steckdose kommt, der in Haushalt und Industrie genutzt wird und mit dem zum Beispiel auch Elektrofahrzeuge öffentlich geladen werden.
  • Auch an der deutschen Strombörse EEX wird ausschließlich die elektrische Nettoleistung gehandelt und bei den grenzüberschreitenden elektrischen Stromflüssen wird ebenfalls nur die Nettoleistung transferiert.
  • Neben der national verfügbaren und genutzten mittleren Nettoleistung für Elektrizität wurde 2018 noch eine national verfügbare, nicht genutzte mittlere Nettoleistung von 5,205 GW als mittlerer Exportüberschuss vekauft: An 7730 Stunden des Jahres (88%) wurde elektrischer Strom exportiert und an 1030 Stunden (12%) wurde elektrischer Strom importiert.
  • Außerdem ist es für das Verständnis der obigen Statistik notwendig, für jeden Energieträger sorgfältig zwischen der national verfügbaren mittleren elektrischen Nettoleistung und der national installierten elektrischen Leistung zu unterscheiden.
  • Der Unterschied sei am Beispiel der Photovoltaik-Anlagen erklärt: Die national verfügbare elektrische Nettoleistung aller Photovoltaik-Anlagen schwankt aus drei Gründen: weil die Sonne nur tagsüber nicht aber nachts scheint, weil der Himmel manchmal strahlend blau und manchmal leicht oder stark bewölkt ist und weil jede Anlage meist eingeschaltet, manchmal aber zu Wartungszwecken ausgeschaltet ist. Über diese Schwankungen wird pro Jahr bei der Angabe der national verfügbaren mittleren elektrischen Nettoleistung gemittelt.
  • Die national installierte elektrische Leistung ist dagegen die Leistung, die dann verfügbar wäre, wenn die Sonne 24 Stunden am Tag schiene und bei wolkenfreiem Himmel stets senkrecht auf die Solarzellen träfe und vollständig zur Stromversorgung ins öffentliche Netz eingespeist würde.
  • Die fehlenden Angaben in der 3. Spalte von Tabelle 1 für Steinkohle, Biomasse und Erdgas sind der Tatsache geschuldet, dass die Anlagen für diese Energieträger meist nur als Reserveanlagen laufen, um die Schwankungen von Wind- und Solarstrom zu kompensieren.

Fasst man bei den Energieträgern jeweils die nicht nachhaltigen einerseits und die nachhaltigen andererseits zusammen, dann erhält man:

Tabelle 2:

Energieträger Relativer Anteil an der national verfügbaren mittleren Nettoleistung für Elektrizität in % Absoluter Anteil an der national verfügbaren mittleren Primärleistung für Elektrizität in GW
nicht nachhaltig 59,48 36,599
nachhaltig 40,52 24,041
Gesamt 100,00 61,530

Setzt man sich bei der deutschen Energiewende den nationalen Ausstieg aus der Nutzung nicht nachhaltiger Energieträger zum Ziel, dann sind – beginnend am 01.01.2019 – für den Teilsektor Elektrizität noch 59,48% des Weges zurückzulegen.

Berücksichtigt man nun noch, dass am 31.12.2002 für die nachhaltigen Energieträger der relative Anteil an der national verfügbaren mittleren Nettoleistung für Elektrizität 8,8% betrug, dann hat es 16 Jahre gedauert, um diesen Anteil um 31,72% auf 40,52% zu steigern.

Wenn man für die zukünftige Entwicklung eine lineare Fortschreibung der Energiewende für den Teilsektor Elektrizität unterstellt, dann wäre dieser Teil der Energiewende – beginnend am 01.01.2019 – nach 30,003 Jahren, das heißt am 02.01.2049 erreicht. Auf den ersten Blick sieht die vorstehende Analyse nach einer soliden Leistung der nachhaltigen Elektrizitätsversorger aus. Es gibt jedoch zwei Tatsachen, die diese Prognose in Frage stellen:

  • Im Vorjahr erbrachte die gleiche Prognose auf der Basis der statistischen Daten des Jahres 2017 als prognostiziertes Ende der Energiewende das Datum 27.11.2048. In nur einem Jahr wurde also bei der Umsetzung der Energiewende mehr als ein Monat verschlafen!
  • Von einer linearen Entwicklung der Energiewende für den Teilsektor Elektrizität kann außerdem – zumindest in der Vergangenheit – vor allem bei der Nutzung der Sonnenenergie durch Photovoltaik keine Rede sein!

2010 stieg die installierte Photovoltaik-Leistung in Deutschland um 7,4 GW, 2011 um 7,5 GW und 2012 um 7,6 GW. Dann aber gefiel es im Sommer 2012 dem Bundestag in seiner großen Weisheit eine von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung eingebrachte Novellierung der Photovoltaik-Förderung zu verabschieden. Sie senkte nicht nur die Fördersätze für den Solarstrom sondern formulierte auch das Ziel, den jährlichen Zubau von Solarzellen nur noch bis zu einer Grenze von 2,5 GW bis 3,5 GW zu fördern.

Wie zu erwarten war, wurden dann ab 2013 deutlich weniger Photovoltaik-Anlagen installiert: 2015 etwa 1,3 GW, 2016 dann 1,5 GW, 2017 dann 2,3 GW und 2018 schließlich 3,2 GW. Diese Zuwächse waren sogar zu wenig, um lediglich den Ausstieg aus der Kernkraft vollständig regenerativ zu kompensieren, vom Ausstieg aus der Braunkohle- und der Steinkohleverstromung ganz zu schweigen.

Die verheerenden Folgen der Novellierung der Photovoltaik-Förderung werden in der Energieforschung von den Wissenschaftlern ironisch als „Altmayer-Knick“ bezeichnet, weil Peter Altmayer (CDU) zum Zeitpunkt der Novellierung Umweltminister war. Nach der Novelle brach die boomende Solarzellenproduktion in Deutschland ein. Von den vormals 150.000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich sind seitdem etwas mehr als die Hälfte verloren gegangen. Peter Altmayer wurde und wird daher von den Wissenschaftlern in der Energieforschung ironisch als Totengräber der deutschen Solarindustrie bezeichnet.

Um nur den für 2022 beschlossenen Ausstieg aus der Kernkraft vollständig regenerativ zu kompensieren, müsste der seit 2013 versäumte lineare Zubau von Solarzellen in Höhe von 7,5 GW / Jahr aufgeholt werden. Daher müssten von 2019 bis 2022 jährlich etwa 11 GW Solarzellen neu installiert werden.

Parallel dazu sollte der Austieg aus der Braunkohleverstromung allein über Windkraft begonnen werden. Dazu sollten in den Jahren 2019 bis 2022 jährlich Windkraftanlagen mit einer kumulierten Leistung von 7,5 GW neu installiert werden.

Danach könnte dann ab 2023 der Austieg aus der Braunkohle- und aus der Steinkohle-verstromung dadurch weitergeführt werden, dass jährlich etwa 7,5 GW Solarzellen und 7,5 GW Windkraftanlagen neu installiert werden.


Teil 1 gibt es hier als PDF-Datei Energiewende_1_V6 [250 kb]

Teil 2 gibt es hier als PDF-Datei Energiewende_2_V6 [126 kb]

Teil 3 gibt es hier als PDF-Datei Energiewende_3_V6 [307 kb]

Teil 4 gibt es hier als PDF-Datei Energiewende_4_V6 [209 kb]